В память об СССР - In Erinnerung an die UdSSR
Am 25. Dezember 1991 um 19:35 Uhr Moskauer Zeit wurde die Flagge der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken vom vergoldeten Flaggenmast auf der Kuppel des Großen Kremlpalastes eingeholt. Am 26. Dezember 1991 wurde in der letzten Sitzung des Obersten Sowjets der UdSSR in Moskau die Deklaration zur Auflösung der Sowjetunion als Staat und als Völkerrechtssubjekt verabschiedet. Damit wurde die Erklärung von Alma-Ata vom 21. Dezember 1991 umgesetzt, in der die Staatsoberhäupter der potentiellen, aus den Sowjetrepubliken hervorgehenden Nachfolgestaaten die Auflösung der UdSSR erklärten.
Die bis heute im Wertewesten kolportierte Legende, dieser Schritt hätte eine breite Zustimmung in der Sowjetbevölkerung gefunden, ist schlicht propagandistischer Blödsinn. Als sich abzeichnete, dass die politischen und wirtschaftlichen Probleme drohten zu kulminieren, ließ der Oberste Sowjet am 17. März 1991 in einem Referendum über den Weiterbestand der UdSSR als Föderation gleichberechtigter und souveräner Republiken abstimmen. Im Ergebnis stimmten bei einer Beteiligung von 80 Prozent aller wahlberechtigten Sowjetbürger 77,85 Prozent für den Fortbestand der UdSSR. In den baltischen Republiken, die sich heute als Vorreiter der Demokratie aufblasen, stimmten in der Estnischen SSR 95,46%, in der Lettischen SSR 95,84% und in der Litauischen SSR 99,13% für den Fortbestand der UdSSR, selbst in der Ukrainischen SSR waren es 71,48% und damit nur anderthalb Prozent weniger als in der Russischen SFSR. In den Autonomen Sozialistischen Sowjetrepubliken (ASSR) fiel das Ergebnis nicht minder beeindruckend aus.
https://www.sudd.ch/event.php?lang=de&id=su011991
Dass die Deklaration vom 26. Dezember 1991 "zugleich das Ende des Kalten Krieges" markierte (Wikipedia), ist natürlich ebenfalls kompletter Blödsinn, sie beendete das Gleichgewicht der beiden zentralen Mächte im Kalten Krieg, mehr nicht. Der Kalte Krieg als solcher setzte sich - unter anderem Namen - bis heute fort. Mittlerweile wird er in den Think Tanks und in den Leit- und Qualitätsmedien des Wertewestens wieder als solcher benannt - und schuld ist natürlich der Russe. Ein ordentliches, weil astronomische Rüstungsausgaben rechtfertigendes und mithin gewaltige Profite generierendes Feindbild ist quasi das Lebenselixier des Wertewestens - Umsätze 2018 in USD: Lockheed Martin 50,5 Mrd., Boeing 34 Mrd., General Dynamics 27,5 Mrd., Raytheon 25,2 Mrd., BAE Systems 22,5 Mrd., um nur die fünf größten der Welt zu nennen. Die Militärausgaben der United States of Aggressors betrugen 2020 778 Mrd. USD, zum Vergleich - der ach so böse Russe gab im selben Jahr 61,7 Mrd. USD für Knall- und Sprengkram aus. Hilfreich und profitabel ist neben der so in Szene gesetzten militärischen Drohkulisse und der in den Augen des Wertewestens längst überfälligen Installation des Międzymorze, des Intermariums, die Tatsache, dass man die ehemaligen Satelliten und einige vormalige Sowjetrepubliken bis zur Halskrause hochrüsten und aufmunitionieren kann. Ich habe das hier erörtert:
https://www.mentopia.net/essays/171-ost-erweiterung-lebensluege-der-nato-und-des-westens
Die Gründe für den Zerfall der UdSSR sind zahlreich und vielfältig, es sind sowohl in Russland als auch im Wertewesten unüberschaubare Regalmeter an Büchern dazu verfasst worden. Die Frage nach Gorbatschows Verantwortung ist eigentlich müßig, der Zusammenbruch und die Auflösung der UdSSR waren zu diesem Zeitpunkt nicht mehr abzuwenden, das wäre auch mit jedem anderen Generalsekretär der KPdSU passiert. Im Grunde waren schon, wie Putin vor einiger Zeit anmerkte, Lenins Nationalitätenpolitik und das Konzept eines Verbandes national resp. ethnisch begründeter Einzelrepubliken mit eigenen Verfassungen und Adminstrationen eine Zeitbombe. Insbesondere die Leninsche Politik der "Korenisazija" (коренизация = Verwurzelung), mit welcher durch explizite Förderung ethnischer Minderheiten nichtrussische Völker in den Staat eingebunden werden sollten - als Minderheit in diesen Regionen lebende Russen wurden beispielsweise verpflichtet, die Regionalsprache zu lernen und zu sprechen - und der abrupte Wechsel in eine forcierte "Russifizierung" unter Stalin ab 1931 schufen einerseits viel böses Blut und beförderten andererseits ein Agieren regionaler politischer und staatswirtschaftlicher Eliten nach eigenen machtpolitischen und materiellen Interessen, die oft denen der gesamten Union zuwiderliefen. Die in ihren Folgen verhängnisvollste Fehlentscheidung der sowjetischen Partei- und Staatsführung war in der Rückschau betrachtet zweifellos der Entschluss, sich ab dem 25. Dezember 1979 militärisch in Afghanistan zu engagieren. Diese Intervention zur Unterstützung der mit der sogenannten "Saurrevolution" an die Macht gekommenen kommunistischen Demokratischen Volkspartei Afghanistans und zur Verhinderung einer islamischen Revolution entwickelte sich zu einem, sich länger als neun Jahre hinziehenden, zermürbenden Konflikt, der auch innenpolitisch in der UdSSR fatale Konsequenzen hatte. Er markierte den Anfang vom Ende der Union.
Anmerkung: Ich weiß natürlich - und das vermutlich besser als 98 Prozent der jenseits der ehemaligen sowjetischen Grenzen ansässigen selbsternannten Fachkräfte (bei expliziter Nennung der "Experten" Andreas Umland und Ralf Fücks) und ggf. tatsächlichen Experten (mit expliziter Ausnahme von Götz Aly und Sönke Neitzel) -, dass auch Roter Terror, die Hungersnot 1932/33, die Jeschowtschina (so wird in Russland bis heute die Zeit des "Großen Terrors" unter dem NKWD-Chef Nikolai Iwanowitsch Jeschow von Herbst 1936 bis Ende 1938 genannt), Gulag und Zwangseinweisungen in psychiatrische Anstalten Teil der Geschichte Sowjetrusslands und der UdSSR waren. Das muss mir keiner erzählen. Trotzdem stimmt mich dieser Jahrestag, der das definitive Ende einer großen Utopie - wenn nicht gar das Ende aller Utopien - markiert, einigermaßen sentimental.