Der Fall Gil Ofarim
Der Prozess gegen Gil Ofarim um die gegen ihn erhobenen Vorwürfe der Verleumdung und falschen Verdächtigung zu Lasten eines Hotelmanagers des Leipziger Westin-Hotels (Marriott International) vor dem Leipziger Landgericht ist mit einem Geständnis Ofarims und einer, nun ja, Entschuldigung seinerseits zu Ende gegangen.
Ofarim sagte vor Gericht: "Die Vorwürfe treffen zu. Ich möchte mich entschuldigen. Es tut mir leid. Ich habe das Video gelöscht." (Zitat LTO, Quelle: https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/sechster-verhandlungstag-gil-ofarim-landgericht-leipzig-gestaendnis/)
Das ganze Spektakel ist in mehrfacher Hinsicht lehrreich, und zwar im Besonderen in Sachen der weitverbreiteten Medienkompetenz (oder besser Inkompetenz) und der ebenso weitverbreiteten Heuchelei seitens der Leit- und Qualitätsmedien und der gesellschaftlichen Funktionsträger sowie in Sachen Idiotie und Dummheit im Sinne der Begriffsbestimmung nach André Glucksmann als Anmaßung der Herrschaft über den Code des Diskurses bzw. das Ding/die Sache an sich im Allgemeinen. Siehe hier: Dummheit und Idiotie - eine erweiterte Begriffsbestimmung.
Ofarim sagte vor Gericht: "Ich möchte mich entschuldigen." Das kann er aber nicht, er kann allenfalls um Entschuldigung bitten, er kann sich nicht per Statement selbst ent-schuldigen. Das kann ihm nur der von ihm öffentlich Beschuldigte gewähren. Weiter sagte er: "Es tut mir leid." Geschenkt. Schließlich behauptete er: "Ich habe das Video gelöscht." Hat er das? Natürlich nicht, er hat nur den Instagram-Account deaktiviert, auf dem er das Beschuldigungs-Video platziert hatte. Das Video ist weiterhin online und leicht zu finden, zum Beispiel mit Hilfe der Seite archive(dot)is. Siehe hier: https://archive.is/Rqmtr.
Hätte irgendeiner der Anwesenden im Gerichtssaal auch nur den Hauch von Medienkompetenz gehabt, hätten sie oder er wenigstens darauf hinweisen müssen, dass es schlechterdings kaum möglich ist, Netzinhalte tatsächlich ad hoc per "Löschen" aus dem Netz verschwinden zu lassen - schon gar nicht, wenn sie auf Plattformen wie Instagram abgelegt sind, das zu Meta gehört und Meta löscht bekanntermaßen gar nichts wirklich - vom vermutlich zahllosen Teilen des Videos seitens empörter Zeitgenossen in Accounts diverser Plattformen gar nicht zu reden. Mit einem Hauch von Medienkompetenz hätte der Richter wenigstens den Nachweis einfordern müssen, dass Ofarim bei den Webarchiven die Entfernung der archivierten Seiten seines Instagram-Accounts beantragt hat, was die üblicherweise recht zeitnah auch tun. Medientechnisch betrachtet war das Deaktivieren seines Instagram-Accounts eine genauso idiotische Kurzschlusshandlung wie das sofortige Hochladen des Beschuldigungsvideos am nächsten Morgen nach dem angeblichen Vorfall. Es wäre vernünftiger - und aufrichtiger - gewesen, wenn Ofarim direkt neben das Beschuldigungsvideo ein Entschuldigungsvideo gestellt und die Kommentarfunktion für beide Videos deaktiviert hätte, was ihm als Inhaber eines verifizierten Accounts möglich gewesen wäre. So nach und nach wären die Videos in den Archiven auf der Zeitlinie nach hinten gerutscht, so bleibt der letzte Snapshot, wie auf dem Bild unten zu sehen, auf praktisch "ewig" stehen. Ofarim ist gewissermaßen ein Opfer seiner eigenen, infantilen Inkomptenz in Sachen Idiotenlaterne und sogenannte soziale Medien geworden.
Kommen wir zu den Heuchlern. Mit seinem Video initiierte Ofarim einen Sturm der Empörung, vor dem Westin-Hotel demonstrierten 600 Leute und zahlreiche Vertreter aus Politik, Kultur, Kirchen und Medien äußerten ihr Entsetzen über diesen antisemitischen Vorfall - den es gar nicht gab. Natürlich war das auch eine schöne Gelegenheit für ein ausführliches Ossi-Bashing. Offensichtlich stellte sich keiner der Empörten die Frage, die sich mir als erste stellte: Wie wahrscheinlich ist es, dass ein Manager eines renommierten Hotels einer internationalen Hotelkette sich vor einem Dutzend Zeugen in Sicht- und Hörweite dermaßen gehen lässt und damit seine Karriere riskiert, die - hätte Ofarim recht gehabt mit seiner Anschuldigung - für immer beendet gewesen wäre? Eben. Daraus ergaben sich die nächsten Frage, zumindest für mich. Wenn Ofarims Wahrnehmung ihn diesen Vorwurf der antisemitischen Attacke seitens des Hotelmanagers tatsächlich glauben ließ (was ich durchaus für möglich bis wahrscheinlich halte) - warum hat er sich nicht erst beraten lassen und zum Beispiel das Gespräch mit dem Rabbinat der Israelitische Kultusgemeinde in München, seinem Wohnort, gesucht? Warum hat er sich nicht am nächsten Tag, also am 5. Oktober 2021, an die Geschäftsleitung des Westin Hotels gewandt? Auch diese Fragen waren Anfang Oktober 2021 in den Leit- und Qualitätsmedien nicht zu lesen resp. zu vernehmen. Emotionen hin oder her - diese ggf. zu zügeln hat der Herr uns den Verstand und (zumindest potentiell) den freien Willen gegeben - und um uns zu prüfen, hat er uns Idiotenlaterne und soziale Medien gesandt. Die Prüfung hat Ofarim nicht bestanden, nein - das musste unreflektiert und ungefiltert raus in die Welt - und zwar sofort!
Nun platzte am 28. November 2023 die Ofarimsche Blase und er zog mit seinem Geständnis die Notbremse, weil offensichtlich, wie diverse Rechtsexperten meinen (siehe oben verlinkten LTO-Artikel), die Zeichen auf Ofarims Verurteilung standen. Sofort sind - in Mehrzahl dieselben - Empörten von Anfang Oktober 2021 erneut maßlos empört, nur diesmal gegen Ofarim und sie lassen ihn fallen wie eine heiße Kartoffel. Sie überbieten sich förmlich mit Vorwürfen, deren inhaltlich heftigster lautet, Ofarim hätte mit dieser Falschbehauptung dem Kampf gegen den Antisemitismus massiv geschadet. Was natürlich Blödsinn ist, denn wenn das zuträfe, hätten wir ein ganz anders Problem, und zwar dieses: Wenn menschliches Versagen nebst Fehlverhalten eines einzigen Menschen wie im Fall Ofarim genügte, diese Wirkung zu erzielen, wäre es mit dem Kampf gegen den Antisemitismus hierzulande nicht weit her.
Es bleibt Spekulation, was Ofarim zu dieser Übersprungshandlung - als solche sehe ich das - motiviert haben mag, könnte nur er selbst wissen - wenn er zur Selbstreflektion fähig wäre, was er offensichtlich nicht ist. Ich meine, der Mann ist ein drittklassiger Musiker mit einer viertklassigen Band, der sich zeitlebens am übermächtigen Schatten seines berühmten Vaters Abi Ofarim abarbeitet, ohne dessen Talent geerbt zu haben. Das versucht Gil Ofarim mit medialer Umtriebigkeit in Kombination mit einem gerüttelt Maß an Eitelkeit zu kompensieren, womit er im Ergebnis aber weit jenseits der künstlerischen Relevanzgrenze bleibt. <
Womit ich bei dem bin, was meiner Meinung mehr über ihn aussagt, als das Geschehen am 4. und 5. Oktober 2021 - was aber auch keinem der nun erneut Empörten aufgefallen ist. Zum 7. Oktober 2023 fiel ihm auf seinem ansonsten regelmäßig bestückten Facebook-Account - siehe hier: https://www.facebook.com/gilofarim/ - in Verbindung mit einem Foto in gewohnter Eitelkeit - nur dies ein: "...music always has the power to express what I feel inside...", danach folgt eine Weile nichts. Erst am 20. Oktober meldet er sich wieder mit einem rührseligen Abschied von seinem offensichtlich kaputten Studiomikrofon - seitdem nichts mehr, auch auf Instagram, bis vor Kurzem sein "News-Kanal", nichts. Lebt er so sehr in seiner Blase, dass das wirklich alles ist, was ihm zu den entsetzlichen Massakern in Israel einfällt? Wie erbärmlich!
Das Gericht hatte Gil Ofarim eine "goldene Brücke" gebaut, die ihm ermöglichte, das Theater zu beenden und ohne Vorstrafe aus der Nummer zu kommen. Der Richter lud seine Richterkollegen resp. Beisitzer sowie die Vetreter der Staatsanwaltschaft und Ofarims vier (!) Verteidiger zu einem sogenannten "Rechtsgespräch" ein, in dem der Stand der Beweisaufnahme erörtert wurde in der Richter dem Vernehmen nach darauf hinwies, dass die Zeichen auf einen Schuldspruch gegen Ofarim deuteten, was unter Umständen mit einer Haftstrafe mit oder ohne Bewährung enden könnte. Er wies darauf hin, "dass eine Strafe nicht das geeignete Mittel sei, um den Rechtsfrieden wiederherzustellen" - was immer das bedeutet.
Quelle: https://www.berliner-zeitung.de/news/gil-ofarim-luege-so-kam-es-offenbar-zu-seinem-gestaendnis-vor-gericht-li.2164171
Im Ergebnis kam das mit 17 Worten sehr knapp formulierte Geständnis nebst einer "Entschuldigung" zustande, was Ofarim straffrei und ohne Eintrag ins Führungszeugnis davonkommen ließ, denn eine Verfahrenseinstellung ist keine Verurteilung ist und eine Geldauflage ist keine Strafe.
Den Wanderpokal für formidable Heuchelei hält momentan die stellvertretende CDU-Vorsitzende Karin Prien. Zitat: »Das Geständnis von Gil Ofarim habe ich erschüttert zur Kenntnis genommen. Es tut mir leid, dass ich seiner Lüge so einfach geglaubt habe und ich kann den betroffenen Mitarbeiter und sein Hotel nur aufrichtig um Entschuldigung bitten.« Am 5. Oktober 2021 hatte sie um 13:20 Uhr noch die unverzügliche Entlassung des Hotelmitarbeiters gefordert.
Quelle: https://www.stern.de/politik/fall-ofarim--cdu-vize-prien-bittet-um-entschuldigung-34242268.html
Mich widert (nicht nur in diesem Fall) dieses Tut-mir-leid-Geschwätz und die Entschuldigerei an. Können die Leute nicht einfach erst einmal innehalten und zur Abwechslung mal ihren Verstand benutzen, anstatt sich, von ihren Emotionen getrieben, der Schwätzerei und Blindlaberei hinzugeben?
Sei es vom Präsidenten des Zentralrats der Juden Josef Schuster, sei es von Philip Peymann Engel, Chefredakteur der "Jüdischen Allgemeinen" oder
von der SPD-Politikerin Irena Rudolph-Kokot ("Leipzig nimmt Platz", Organisatorin der Proteste nach dem Ofarim-Video) - oft und viel ist nun davon zu hören, Ofarim habe dem Kampf gegen Antisemitismus einen Bärendienst erwiesen. Das ist falsch, wie sich gezeigt hat. Ein Bärendienst wird gemäß der Fabel, von der sich die Redewendung herleitet, stets in guter Absicht geleistet und hat dann schlechte Folgen.
"Bärendienst" @Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Bärendienst
Ofarim aber hatte wohl keinerlei gute Absicht. Wie es aussieht, ärgerte sich der Sänger über einen aus seiner Sicht miesen Service und erfand die Geschichte mit dem Davidstern, weil Hotelservice-Kritik bei Instagram auch dann niemanden juckt, wenn sie von Gil Ofarim stammt. Den Bärendienst im Kampf gegen Judenhass haben mithin diejenigen erwiesen, die Ofarim leichtfertig Glauben schenkten und vorschnell in Schutz nahmen. Ausgerechnet jemanden, der den Antisemitismusvorwurf für das kleinkarierte Anliegen verzweckt hat, sich an einem Hotelmitarbeiter zu rächen.