Dichter, Sänger, Multiinstrumentalist, Komponist, Songwriter, Produzent, Tontechniker, Konzeptkunstmaler, Gründer mehrerer Konzeptkunst-Avantgardeprojekte - das alles war Jegor Letow, der am 10. September 1964 in Omsk geboren wurde und am 19. Februar 2008 ebendort verstarb. Der Gründer und Leiter der legendären Rockband Гражданская оборона (Graschdanskaja Oborona, Zivilverteidigung, Bürgerwehr) dürfte der einzige Bandleader der Welt sein, der seine Gruppe zweimal auflöste, weil sie ihm zu populär wurde und er den Hype um die Band als Belästigung und störend für seine künstlerische Arbeit empfand.
Letows Œuvre umfasst 822 Lieder auf insgesamt 51 Alben, die er in 24 Jahren verfasste, zum Vergleich - Bob Dylan brachte es auf 600 - in 60 Jahren. Bis auf wenige Ausnahmen wurden alle Kompositionen Letows in seiner Drei-Zimmer-Wohnung im Erdgeschoss eines Wohnblocks aus den späten 1950er Jahren in Omsk eingespielt. Er wollte nie einen Plattenvertrag mit einem Major Label, alle seine Alben wurden und werden, seit 2008 von seiner Witwe, über seinen Selbstverlag ГрОб Records produziert und vertrieben. Letow war einer der kreativsten, produktivsten und zugleich am meisten unterschätzten Musiker der modernen Unterhaltungsmusik aller Genres, im Westen ist er praktisch unbekannt. Vielleicht können die nachfolgenden Texte einen kleinen Beitrag leisten, das zu ändern
Jegor Letow - der singende Philosoph
»Die Situation ändert sich - wir müssen situationsübergreifend handeln. Es gibt ein Lied "Ich werde immer dagegen sein", aber ich kann gleichermaßen singen "Ich werde immer dafür sein". Wenn sich die Situation ändert, ist das jedes Mal eine Falle für einen Narren. Für einen intelligenten Menschen ist dies ein Sprungbrett, um auf die nächste Stufe zu springen. Darum geht es bei all unserer Musik - bei unseren politischen Spielen, Ausflügen in die Politik, bei Handlungen oder bei demonstrativer Untätigkeit. Manchmal ist Untätigkeit viel cooler als Action. Das ist es, was wir unser ganzes bewusstes Leben lang tun - es ist jetzt bewusst und klar, weil es zu Beginn der Ära Momente gab, in denen wir aus Naivität gehandelt haben.«
Jegor Letow im Gespräch mit Sergeij Gurjew[1 Quelle]
Jegor Letow hinterließ ein ungewöhnlich umfangreiches Werk, obwohl es ihm bis zum Ende der Sowjetunion nicht möglich war, seine Lieder legal zu publizieren. Letow publizierte seine Musik in den ersten Jahren als магнитоальбо́мы (Magnitoalbom, von магнитофонный альбом, das bedeutet magnetofonisches Album). Das waren Musikalben, die in Ermangelung eines Musikverlages - seinerzeit bis zum Ende der Sowjetunion gab es nur den staatlichen Verlag "Мелодия" (Melodija, Melodie) für die Publikation von Unterhaltungsmusik - von den Musikern auf einem Tonbandgerät eingespielt wurde, anfangs auf einem Kassettengerät, ab 1988 benutzte Letow dafür ein Gerät vom Typ "Олимп-003-стерео". Dieses Masterband wurde auf einige Masterkassetten kopiert, die in der Sowjetunion verschickt, regional auf Musikkassetten vervielfältigt und in aller Regel kostenlos oder zum Selbstkostenpreis verteilt wurden.
In diesem Verzeichnis sind alle Quellen aufgelistet, auf welche mein Buch» Jegor Letow. Leben, Werk, Vermächtnis« (ab 2. Februar 2022 im Handel) und die hier veröffentlichten Texte Bezug nehmen. Es sind - bis auf wenige Ausnahmen - russische Quellen, die ich selbst übersetzt habe und welche die geschilderten Lebensereignisse Jegor Letows referenzieren und die Basis der Werkanalyse sind. Ich beanspruche nicht, selbst zu diesen Erkenntnissen gekommen zu sein, sondern ich habe sie für die deutschen Leserinnen und Leser zusammengestellt und kombiniert - als Textsampling sozusagen. Genau das war auch meine Absicht - nicht mehr, aber auch nicht weniger. Wörtliche Zitate in den Texten sind den Regeln entsprechend in selbigen ausgewiesen, eigene Wertungen sind als solche zu erkennen.
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